Geborgen heißt nicht benutzbar

Die Bestände des Historischen Archivs der Stadt Köln haben durch den Einsturz am 03. März 2009 ihren ursprünglichen Kontext so verloren, dass eine Bergung im Bestandskontext nicht möglich war. Der Ablauf des Einsturzes, in dessen Zug das Gebäude gleichzeitig absackte, nach vorn kippte und etwa in der Mitte durchbrach, sorgte für eine gründliche Durchmischung des geborgenen Archivgutes.

Die Verteilung auf drei Bergungsorte (Bauwerk, Schuttkegel und Einsturztrichter) besorgte ein Übriges. Schließlich wurden durch die schadensbedingt unterschiedlichen Erstversorgungsverfahren auch noch evtl. erhaltene Zusammenhänge gestört. Einiges fand sich gar erst bei der Durchsuchung des Bauschuttes in Porz-Urbach wieder an und wurde von dort in den Prozess der Erstversorgung überführt. Die Archivalien sind allerdings nicht nur aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen gerissen. Mechanische Beschädigungen haben vielfach dazu geführt, dass Signaturen, Akzessionsnummern oder sonstige Beschriftungen teilweise verloren gegangen sind. Vieles wurde gar vollständig auseinandergerissen und liegt nun in Gestalt von Teilakten, Einzelblättern oder als Fragment vor. Für letzteres prägten die Helfer den Begriff der „Köln-Flocken“, deren Anzahl im Moment auf ca. 3 Millionen geschätzt wird. Während und nach der Bergung lag der Schwerpunkt der Arbeiten auf der Erstversorgung der Archivalien. Ziel musste es sein, möglichen größeren Schäden, z. B. Mikrobenbefall, vorzubeugen. Allein der Erhaltungszustand der jeweiligen Archivalien entschied, wie eine Akte, eine Urkunde, ein Plan o.ä. erstversorgt wurde – Bestandskontexte durften dabei keine Rolle spielen.

Trockene oder leicht feuchte Dokumente wurden im Erstversorgungszentrum in Porz-Lind vom groben Bauschutt durch Abfegen befreit, grob erfasst, in einem Klimazelt bei 30 % Luftfeuchtigkeit und 30 °C getrocknet und anschließend in Archivkartons verpackt.

Archivalien, die nass geborgen wurden, oder die durch die wetterbedingten Zustände in und an der Unglücksstelle vom Schimmel befallen waren, wurden grob erfasst, und in Stretchfolie eingewickelt, um anschließend in einem Kühlhaus tiefgekühlt zu werden. Archivalien, die aus dem Grundwasser geborgen werden mussten, wurden zur Vorbeugung einer Zementierung der Archivalien gewässert und ebenfalls grob erfasst, in Stretchfolie eingeschlagen und tiefgefroren.

Gefrorene Archivalien werden so bald wie möglich durch das Gefriertrocknungsverfahren getrocknet und stehen dann für eine Erfassung und Restaurierung bereit.

Das erstversorgte, in Archivkartons verpackte Archivgut wurde in Archive ausgelagert, die über freie Magazinkapazität verfügen. Nun liegen ca. 85% der 30.000 laufenden Regalmeter Archivgut des Historischen Archivs Köln in Magazinräumen folgender „Asylarchive“: Historisches Archiv des Erzbistums Köln, Bundesarchiv-Zwischenarchiv St. Augustin, Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland in Pulheim-Brauweiler, Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Stadtarchiv Düsseldorf, Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv in Köln, Stadtarchiv Bochum, Universitätsarchiv Münster, Institut für Stadtgeschichte/Stadtarchiv Gelsenkirchen, Landschaftsverband Westfalen-Lippe – Archivamt für Westfalen in Münster, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen – Abteilung Ostwestfalen-Lippe in Detmold, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen- Abteilung Westfalen in Münster, Plakatmuseum Essen, Dombibliothek Köln, Stadtarchiv Freudenberg, Stadtarchiv Siegen, Landesarchiv Schleswig-Holstein in Schleswig, Bundesarchiv – Militärarchiv Freiburg, Archiv der Friedrich-Naumann-Stiftung in Gummersbach, Stadtarchiv Bonn.

Diese drei Schritte – Bergung, Erstversorgung und Einlagerung – stellen wiederum die Basis für alle weiteren Arbeiten an den geborgenen Beständen dar. Aus ihnen werden sich immer weitere Konkretisierungen von Bedarfs- und Aufwandsschätzungen ergeben, ebenso wie Priorisierungen im Bereich von Restaurierung und Digitalisierung. Am Ende steht ein Gesamtprozess, im Rahmen dessen die Kölner Bestände nach und nach zunächst virtuell zusammengeführt, um dann über eine Restaurierung, verschiedene Umzüge und eine Rückführung in die ursprünglichen Bestandssysteme auch physisch wieder formiert zu werden. Grundsätzlich gilt: Es sollten nach Möglichkeit nur zusammengeführte Bestände bzw. Teilbestände restauriert werden, um schlüssige Prozessketten von der Bergung über die Bestandszusammenführung, die Erschließung, die Restaurierung und die Digitalisierung bis hin zur Verpackung und Einlagerung in die Magazine sicherstellen zu können.

Auf der Grundlage einer Priorisierung wird mit den besonders zeitkritischen Arbeiten der Gefriertrocknung durchfeuchteter und tief gefrorener Bestände sowie mit Arbeiten an weniger stark geschädigtem Archivgut begonnen, die einfach zu organisieren sind und auch schnelle Erfolge erwarten lassen. Ziel ist, möglichst schnell größere Teile der Bestände wieder der Benutzung zuführen zu können. Eine teilweise Benutzung der Archivalien wird zwar erst im zu errichtenden Neubau am Eifelwall/Ecke Luxemburger Straße möglich sein – dennoch werden bereits im Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum in Köln-Porz einzelne Archivalien nach ihrer Restaurierung zur Verfügung stehen.

So ist bei der Bestandszusammenführung ebenso wie bereits bei der Bergung erneut ein beträchtlicher Aufwand erforderlich, um die anstehenden Arbeiten effektiv und erfolgreich durchführen zu können. Die vorgestellten Ziele und die zu erwartenden Schwierigkeiten sowie die völlige Verunordnung des Archivguts haben zur Folge, dass „klassische“, bestandsbezogene und örtlich festgelegte Lösungsansätze nicht zielführend sein können. Auch stehen nicht unbegrenzte Ressourcen an Mitarbeitern mit Bestandskenntnissen für diese Aufgabe zur Verfügung. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass dezentral, parallel und mit flexiblen Arbeitsgruppen gearbeitet werden kann. Es ist davon auszugehen, dass die Erfassung in den Asylarchiven ungefähr fünf Jahre andauern wird. Objekte, die nur einen leichten Schaden davon getragen haben werden nach und nach, noch vor Ablauf aller Erfassungsarbeiten, der Benutzung wieder zugänglich gemacht. Eine Überführung aller ausgelagerten Archivalien wird jedoch erst im Neubau am Eifelwall möglich sein.

 Karoline Meyntz, Historisches Archiv der Stadt Köln